Die Kirche Mariahilf ist als barocker Zentralbau ein eindrucksvolles Kunstwerk mit dem Gnadenbild Lucas Cranachs im Zentrum (wenn auch nur in Kopie). Aufgrund der besonderen historischen Funktion dieser Kirche für ganz Tirol erfolgten mehrere Stiftungen, die über die Jahrhunderte den Erwerb kostbarer religiöser Objekte ermöglichten. Die Pfarre Mariahilf verfügt daher über eine Kunstkammer, die man nach Vereinbarung besichtigen kann. Anlässlich der österreichweiten Langen Nacht der Museen am 5. Oktober öffnet sie ab 18:00 Uhr für alle Interessierten, Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Um 21:00 Uhr findet in der Kirche Mariahilf eine Podiumsdiskussion statt zum Thema: Was kann sakrale Kunst heute leisten? Gesprächspartner werden unter anderem Bischof Hermann Glettler sein, selbst ein Künstler, der viele Ausdruckformen nutzt, die Tiroler Künstlerin Patricia Karg sowie der frühere Leiter des Bundesdenkmalamts Dr. Franz Caramelle.
Du sollst Dir (k)ein Bildnis machen!
Ein Interview mit dem neuen Kunstbeauftragten der Diözese Innsbruck Dr. Stefan Schöch über die Funktion religiöser Kunst, das Spannungsverhältnis von Kunst und Kult, und was für ihn gute Kunst in Kirchen ausmacht
Herr Schöch, im Juli wurde der Skulptur der Tiroler Künstlerin Esther Strauß im Linzer Dom von unbekannten Tätern der Kopf abgesägt. Das Kunstwerk stellte eine Leerstelle der gängigen Marien-Darstellungen dar: die eigentliche Geburt. Das muss für jemanden zu viel Sichtbarmachung von Gottes menschlicher Existenz gewesen sein, oder?
Auch wenn das reine Spekulation ist: wenn das das Motiv gewesen sein sollte, dann sind wir damit beim Beginn sakraler Kunst, nämlich bei einem Verbot: Du sollst Dir kein Bildnis machen. Dieses Verbot aus dem Alten Testament lebt ja nicht nur im Judentum fort, es existiert auch im Islam, und der Ikonenstreit in der orthodoxen Kirche drehte sich ebenfalls genau um die Frage, ob man, wenn man Jesus abbildet, damit nicht immer nur die menschliche Natur zeigt und sie so von seiner göttlichen abspaltet. An Jesus im Moment seiner Geburt dachte man damals aber sicher nicht.
Wie kann es dann aber sein, dass Kunst im Christentum trotz dieses ziemlich kategorischen Verbots zu einem so wichtigen Pfeiler der Religion wurde?
Ich denke, weil Menschen Bilder brauchen, um letztlich Unsichtbares sichtbar zu machen. Aber weil sich Gott einer Verkörperung im Bild entzieht, gibt es das Verbot des Bildnisses. Dass dagegen immer wieder verstoßen wurde, liegt daran, dass das Bild nicht nur die Funktion der Verbildlichung erfüllt, sondern auch die des Kults. Das zeigt schon die Geschichte des Goldenen Kalbs. Die Kalbsfigur selbst hat einen kultischen Zweck. Die Menschen tanzen um sie herum. Das heißt, sie verehren die Figur selbst als etwas Göttliches. Genau um dieses Spannungsverhältnis zwischen Kult und Kunstwerk geht es auch in der christlichen Kunst sehr häufig. Wir kennen viele Bilder, zu denen Wallfahrten veranstaltet werden, und bei denen nicht immer klar ist, ob sie nur Kunst sind oder auch Kult.
Wie wäre demnach der Fall Linz zu erklären?
Wie gesagt, wir spekulieren. Das Gegenteil der kultischen Verehrung ist die Bilderstürmerei, also die tief empfundene Abscheu eines Werks, wie ich sie mir in Linz vorstellen könnte. Das heißt, die Skulptur wird nicht als Kunstwerk gesehen, sondern als Kultobjekt, gegen das man aus tiefer Überzeugung heraus vorgeht. Wie gesagt, das rührt aus der Urfunktion religiöser Kunst: Menschen in allen Kulturen begannen irgendwann, ihre Gottheiten in Form von Bildern und Skulpturen darzustellen und diese zu verehren – oder eben abzulehnen. Denken Sie an die Tempel mit den Standbildern von Gottheiten in der griechischen und römischen Antike.
Die christliche Kunst hat sich dann auch nicht lange an das Verbot von Gottesbildern gehalten.
Zunächst schon, die ersten Visualisierungen, die man wählte, waren unverfängliche Darstellungen. Auf römischen Sarkophagen der ersten Christen finden wir umgedeutete, teils ehemals heidnische Symbole: den Fisch oder den Hirten.
Wie wurde daraus dann Michelangelos Gottvater, der den Adam erweckt?
Indem der Kult immer mehr in den Hintergrund rückte und das Kunstwerk in den Vordergrund. Das war auch keine schlagartige Revolution, sondern ein langer Prozess. Man kann das an romanischer Kunst ganz gut sehen: sie ist häufig nicht besonders kunstfertig. Darum geht es ihr auch noch nicht, denn das romanische Marienbild soll dem Inhalt dem Inhalt nach verehrt werden, nicht durch die Darstellung. Dazu braucht es einige schematische Eigenschaften, die das Werk des Künstlers begrenzen. Genauso ist es auch bei Ikonen, die ebenfalls die als Objekte zur religiösen Verehrung gedacht sind. Deshalb werden sie einfach kopiert, man kann sie auch selbst malen, es gibt Ikonenmalkurse für jedermann. Hier geht es nicht um das Kunstwerk, obwohl natürlich viele Ikonen meisterlich sind. Spätestens in der Renaissance sind wir in der westkirchlichen Kunst aber weg vom Kult und beim Kunstwerk eines jetzt auch namentlich bekannten und schon zu seiner Zeit prominenten Künstler angekommen, den man sich leistete. Heute schätzen wir sakrale Kunst nahezu ausschließlich aufgrund ihrer künstlerischen Meisterhaftigkeit. Industrielle kaufen sich mittelalterliche Madonnen, der Kunstmarkt verlangt riesige Summen dafür, sicher nicht, weil er am Kult interessiert ist. Das Kunstwerk ist komplett vom Kult abgetrennt.
Wie kam es zu den künstlerischen Ergüssen wie in der Sixtinischen Kapelle oder später in den Barockkirchen?
Indem sakrale Kunst statt des Kults nun andere Funktionen erfüllte. In der Romanik und dann in der Gotik hatte sakrale Kunst eine pädagogische Funktion. Die Gläubigen verstanden ja nicht, was im Gottesdienst gesprochen wurde, also sollten sie es sehen. Deshalb wurden die Kirchen bunt ausgemalt mit Szenen aus der Bibel oder dem Leben von Heiligen. Die barocke Prachtentfaltung spiegelte das spezielle barocke Lebensgefühl wider: die Spannung zwischen den Widrigkeiten eines schweren Lebens und dessen Vergänglichkeit und der Verheißung eines wunderbaren Jenseits bei Gott. Dieses galt es, dem geschundenen Menschen vor Augen zu führen, man könnte sagen, dass barocke Kunst die Funktion des Trostes hatte. Und in der Zeit der Reformation wollte katholische Kunst beweisen, dass sie ungleich schöner und prächtiger ist als die Nüchternheit der Reformation. Sie hatte damals sicher auch eine Propaganda-Funktion.
Und heute, welche Funktion hat sakrale Kunst in unserer Zeit?
Unsere Zeit ist viel individueller. Sakrale Kunst heute versucht daher, Objekte zu schaffen, oder Räume, wenn wir in die Architektur schauen, die individuelle Spiritualität ermöglichen. Da geht es um das persönliche Gebet, um Meditation, und das erfordert natürlich eher abstrakte als konkrete Kunst, wenn sie viele Menschen erreichen möchte.
Was ist für Sie gute sakrale Kunst?
Das ist tatsächlich eine Frage, mit der wir uns beschäftigen, wenn wir als Kirche Kunst erwerben und erhalten, aber sie ist gar nicht so leicht zu beantworten und schon gar nicht abschließend. Ich habe aber einige Impulse dazu: ist eine Kunst nur plakativ, oder wirkt sie subtil? Ich finde, ein Lichtstrahl als Bild für Gott genauso billig sein, wie, sagen wir, Gottvater mit Rauschebart. Das wäre mir zu plakativ, wobei es natürlich auch Orte gibt, die plakative oder anschauliche Kunst erfordern. Gute Kunst hat oft auch etwas Widerständiges, vielleicht sogar Provozierendes, über das wir stolpern. Denken Sie an die androgyne Mona Lisa, diese fehlende Klarheit macht einen großen Teil der Attraktivität dieses Bilds aus. Manchmal aber ist auch nicht die Provokation, sondern die beruhigende Wirkung, die von einem guten sakralen Kunstwerk ausgeht.
Wie darf man sich Ihre Aufgabe vorstellen, womit sind Sie befasst?
Weniger mit dem Ankauf von Kunst als mit ihrem Erhalt. Am meisten habe ich zu tun mit der Umgestaltung von Kirchenräumen. In den Sechzigern und Siebzigern wurden nach der Liturgiereform oft Volksaltäre in Kirchen gesetzt, die man heute als nicht mehr passend empfindend. Die Gemeinden wünschen sich Altarräume, die zu ihren liturgischen Bedürfnissen passen. Das finde ich sehr spannend, denn das ist wieder eine neue Funktion für sakrale Kunst: dass sie das heutige liturgische Bedürfnis der Menschen erfüllt.
Kann eine Gemeinde eine barocke Ausstattung einfach rauswerfen und die Kirche ganz anders gestalten, wenn sie das möchte?
Nein, dagegen steht natürlich der Denkmalschutz. Aber das macht auch niemand. Heute ist der Respekt vor den Kunstwerken viel größer als zu früheren Zeiten, als man ungeniert die Gotik barockisierte, den Barock dann wieder historisierte, das Neugotische modernisierte und dann vielleicht abermals historisierte. Wir brauchen heute zwar kaum mehr Beichtstühle, aber wir wertschätzen die Schnitzereien und überlegen, was wir mit diesen Kunstwerken anstellen können. Viele Pfarren finden dafür spannende Lösungen, und wir unterstützen sie sehr gern dabei.
Gibt es in unserer säkularisierten Welt noch genügend Künstler, die sich mit sakralen Themen befassen wollen, die sie auch verstehen?
Ja, und es macht keinen Unterschied, ob sie gläubig sind oder agnostisch. Viele Künstler schätzen die Herausforderung sakraler Kunst und wollen eine Antwort finden auf die ganz spezielle Aufgabe, die sich an einem religiösen Ort stellt.
Interview: Gerd Henghuber
Dr. Stefan Schöch ist der neue Kunstbeauftragter in der Diözese Innsbruck. Der 31jährige Kunsthistoriker und Theologe arbeitete am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Humboldt-Universität in Berlin, bevor er im April 2024 in seine Tiroler Heimat zurückkehrte.